Über Helsinki flog ich nach Kajaani und dann weiter mit dem Auto bis ganz an die russische Grenze. Die letzten 30km noch auf Grünstrassen, dann hatte ich mein erstes Ziel bei Viiksimo erreicht.
Ich wurde von Kari Kemppainen im Boreal Wildlife Center herzlich empfangen. Dieser etwas verstaubte, unermüdliche, wilde Naturbursche ist ein Teil dieser Abgeschiedenheit und dieser Wildnis. Er lebt von und für die Natur.
Sogleich wurde ich mit dem Tagesablauf vertraut gemacht: 15h Mittagessen, 16h Transfer ins Hide mit Lunchpaket, Nacht im Hide, 8h morgens Abholung durch Kari, 9h Frühstück, danach Tag zur freien Verfügung....nächste menschliche Siedlung: 60km!
Meine ersten 2 Tage verbrachte ich im grossen Bärenhide zusammen mit einigen anderen sympathischen Fotografen: Italiener, Belgier, Engländer, Schweden. Wir waren eine bunte internationale Truppe.
Da es an diesen ersten 2 Tagen noch ca. -10°C kalt war, bot das grosse Hide den richtigen Einstieg. Dort spürte man weniger von der Kälte als in den kleineren Hütten.
Die ersten Bären liessen nicht lange auf sich warten. Flach liegend, ja fast schwimmend, crawlten sie über den Schnee, der unter ihrem Gewicht immer wieder einbrach.
In den ersten 2 Tagen konnten wir einige grosse Männchen beobachten, die immer wieder zum Hide kamen. Manchmal konnten wir bis zum Eindunkeln Fotos machen und am Morgen bei schönstem Licht sehr früh wieder loslegen. (für grössere Ansicht bitte auf's Bild klicken)
Erfreulicherweise besuchten uns auch einige Seeadler, die sich im schönen Abendlicht auch noch in Szene setzten und uns immer wieder vor Augen führten, was für imposante Geschöpfe sie sind.
Am dritten Tag verspürte ich den Wunsch nach noch mehr Einsamkeit. Bären hätte ich im 2. Teil meiner Reise, in Martinselkonen, noch genug gesehen.
Eigentlich war ich ja auch gekommen, um die Balz der Birk- und Auerhähne zu fotografieren. Deshalb brachte mich Kari um 4 Uhr in der Früh an einen wunderschönen Ort, wo sich in der Regel die Birkhähne versammeln, um ihren Tanz für die Hühner aufzuführen.
Es war ein wunderschöner Morgen. Die Luft kalt und klar und als die Sonne aufging, konnte ich die Hähne im besten Licht beobachten.
Ich war begeistert!! Ganz alleine, mitten auf einer riiiiiesigen Lichtung, rundum Natur pur. Einfach grossartig.
Um halb neun holte mich Kari mit dem Motorschlitten wieder ab und brachte mich durch den dichten finnischen Wald wieder zurück zum Center, wo leckeres Frühstück auf mich wartete.
Mein Hunger nach schönen Birkhahnfotos war nach diesem Morgen vorläufig gestillt. Also versuchte ich mich in der folgenden Nacht beim Auerhahn. Kari setzte mich 1km vor der russischen Grüngrenze ab und ich begann zu warten. Am Abend geschah nichts und so legte ich mich bald aufs Ohr und schlief ein paar Stunden. Um 4 Uhr morgens wollte ich wieder bereit sein.
Lange musste ich warten, bis ich plötzlich auf dem Baumwipfel einen Auerhahn erspähte. Dieser setzte sich wenig später weit hinten zwischen Bäumen und Sträuchern auf den Boden. Ich hoffte und betete, dass er sich doch in meine Richtung bewegen würde, aber er liess sich nicht drängen. Seelenruhig und mit grösster Vorsicht durchlief er die Arena von rechts nach links und bot mir doch noch die eine oder andere Fotogelegenheit.
Ein imposanter Vogel dieser grösste aller Hühnervögel und wunderschön mit seinen grünen und dunkelbraunen Federn, sowie den gemusterten schwarzen Schwanzfedern.
Nach diesen eindrücklichen Momenten, dachte ich, könne man nichts Schöneres erleben. Aber Kari brachte mich an einen Ort, so quasi als Extraprogramm, wo ich einen brütenden Habichtskauz beobachten konnte. Schon lange hegte ich den Wunsch, einen Eulenartigen mal vor die Linse zu bekommen. Nun hatte ich die Gelegenheit dazu.
Mit äusserster Vorsicht näherten wir uns einzeln der Höhle, wo der Kauz dösend drinsass und uns natürlich schon lange bemerkt hatte. Unsere Vorgehensweise war erfolgreich und wir konnten uns bis auf wenige Metern nähern, ohne dass der Kauz nervös wurde oder gar die Flucht ergriff.
In der 5. Nacht wollte ich nochmals mein Glück beim Auerhahn versuchen, doch ich sass vergebens im Hide. Die Balz dieser schönen Vögel schien noch nicht richtig in die Gänge gekommen zu sein.
Trotzdem hatte ich bei Kari Unglaubliches erleben dürfen und ich versprach, dass ich wiederkommen würde. Dann aber mit meinem Kumpel Marco, der gesundheitshalber auf diese Reise verzichten musste.
Nachdem ich meine Sachen gepackt hatte, verliess ich das Center und fuhr ca. 200km nordwärts nach Martinselkonen.
In Martinselkonen erwartete mich ein sauberes, neu renoviertes, professionelles Center, das zur Zeit von Jani Määttä, seinem Vater und seiner Mutter und seiner Frau geführt wird. Schon viele Jahre kann man hier Bären an verschiedenen Orten beobachten. Aufgrund des Schnees konnten wir aber nur zu den sogenannten "Swamp-Hides" hinfahren und dies nur im Schneescooter. Bis am Ende meines Aufenthalts wurde aber auch dieses Transportmittel hart auf die Probe gestellt, denn die wärmeren Temperaturen brachten den Schnee zum schmelzen wie Butter an der Sonne.
Auch bei den Hides, die in einem Sumpfgebiet stehen, war ein Gehen auf der immer noch dicken, aber weichen Schneedecke fast ein Ding der Unmöglichkeit.
In der 1. Nacht war ich ganz alleine im Center. Wunderbar!!! Ich wurde von Jani wie gehabt um 16h gefahren. Als wir uns dem Hide näherten, traute ich meinen Augen nicht und mein Herz machte Freudensprünge. Neben meinem Hide wartete eine Bärin mit ihren zwei letztjährigen Jungen. Und sie ergriffen nicht etwa die Flucht, sondern blieben etwa 10m von uns entfernt interessiert stehen. Jani sprach zu ihr. Ich brachte keinen Ton mehr raus. Wäre ich darauf vorbereitet gewesen, ich hätte den Moment länger genossen, stattdessen verzog ich mich schnell ins Hide, obschon ich in keinster Weise Angst hatte. Alles war ruhig und jeder hielt einen respektvollen Abstand zum anderen.
Jani meinte, die Bärin habe schon früh ihre Mutter verloren und habe sich deshalb stark an die Menschen orientiert, die jeden Tag zu den Hides kamen. Deshalb sei sie heute so zutraulich.
Eins wusste ich sofort: ich hatte mich verliebt!
Der 1. Abend in diesem Hide war unglaublich! 3 Stunden lang hatte ich ununterbrochen den Finger am Auslöser. Etwa 5-7 verschiedene Braunbären tauchten auf, 4-5 Seeadler waren auch ständig auf der Lauer. Unglaublich. Ich war begeistert und hatte meinen Frieden im zweckmässig eingerichteten Hide: Eine Pritsche mit Matratze und Schlafsack, die gleichzeitig als Sitzgelegenheit diente. Jede Menge Abstellflächen und Haken, eine Kesseltoilette, ein Stuhl (überflüssig) und sogar eine Heizung (die auch nie nötig war). 4 Fotoluken vorne und je eine seitlich. Was will man mehr?
Am 2. Tag in Martinselkonen trafen mehrere Gäste ein: ein paar Russen und eine kleine Gruppe Engländer. Und mit diesen Menschen tauchten beim Swamp auch hunderte von Möwen auf, die die Szene ordentlich aufmischten und eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse erzeugten. Es war ganz und gar nicht mehr wie am ersten Tag, aber es ergaben sich trotzdem immer wieder interessante Fotosujets.
Als dann zuerst die Russen und dann auch noch die Engländer abgereist waren, kehrte auch am Fotoplatz wieder Ruhe ein und man konnte die Jungbären beim Spielen beobachten oder die Seeadler, die sich hinsetzten und noch ein paar gute Bilder abgaben.
In der letzten Viertelstunde, in der ich im Hide sass, betrat schliesslich noch ein Tier die Bühne, mit dem ich schon gar nicht mehr gerechnet hatte und das sehr zurückgezogen lebt. Genau so schnell, wie es aufgetaucht war, verschwand es dann wieder auch. Ich musste mich beeilen, um ihn zu fotografieren, denn er rannte ständig hin und her.
Der Vielfrass, engl. Wolferine.